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Jetzt ist doch alles wieder gut!

Wer immer Kritik an den Granden des VfB Stuttgart generell nicht leiden kann und auch nicht nachvollziehen kann, dass man sich überhaupt negativ oder kritisch äußert. Wer denkt, dass nur ein guter Fan ist wer „die Klappe hält und den VfB unterstützt“, der möge doch bitte einfach den Tab im Browser schließen und was anderes tun – aber auf keinen Fall weiterlesen.

Das sollte ich unbedingt vorausschicken, da sich in den letzten Tagen wieder leider die zähe und unnötige Diskussion eingeschlichen hat, wer ein guter Fan oder wer ein schlechter Fan ist. Es wurde geteilt in gute Fans, die auch in den unruhigen Zeiten beim VfB alles akzeptieren, selbstredend weiter ins Stadion gehen und 100% die Mannschaft unterstützen, aber keinerlei Kritik äußern, weil das jetzt ja auch nichts mehr bringe und eben eine Entscheidung natürlich jetzt auch einfach akzeptiert werden muss. Ich nenne es die aoMV Rhetorik. Zusammenhalt wird eingeschworen, sogar per Mail vom großen Häuptling – als ob die Fans genau das nicht die letzten Jahre sowieso immer getan haben. In den vielen Jahren in denen es knapp am Abstieg vorbeiging, in der Abstiegssaison und natürlich in der zweiten Bundesliga. An der Unterstützung kann es nun wirklich nicht gelegen haben, dass es die letzten Jahre tendenziell immer wieder einen kleinen Schritt nach unten ging. Und alle die eine kritische Stimme haben, Entscheidungen hinterfragen, die sind die schlechten Fans, die die dazu führen, dass es dann schlecht läuft? Ich kann es nicht mehr hören.

Ich sehe mich und den VfB wie eine Beziehung an, die längste die ich führe. In meiner Familie war Fußball – oder in Stadion gehen – nicht wirklich ein Thema, trotzdem hat mich in den Achtzigern der VfB Virus infiziert – keiner weiß woher, aber es war da und ich durfte dann Dank meines Onkels zum ersten Mal ins Neckarstadion. Unvergesslich. Karl Allgöwer hat getroffen. Fünf VfB Tore. Unvergesslich und prägend. Da wollte ich wieder hin, immer und immer wieder. Und da bin ich hin, immer und immer wieder – zum Leidwesen meiner Mutter, die es nicht so prima fand, dass der Bub bei Regen, im Winter in der Kurve stand und gerne mal neben einem Sieg auch noch ne Erkältung mit heim gebracht hat.

Ja, das ist eine langjährige und sehr intensive und emotionale Beziehung. Und in Beziehungen gibt es gute und schlechte Tage. Trotzdem findet man immer wieder zusammen, rauft sich zusammen. Und ich habe dem VfB schon viel verziehen, z.B. Winfried Schäfer um nur mal ein großes Highlight zu benennen. Es gibt dann die Zeiten in denen man sich entfernt, die Liebe nicht ganz so innig ist. Ich würde behaupten es ist normal in einer Beziehung. Oftmals hatte man dann schon während der Saison die Gedanken „ach nächste Saison hole ich mir keine Dauerkarte mehr, ich hab keinen Bock mehr“, um sich dann aber bei der Frage „und, bist du wieder dabei“ natürlich mit „Ja“ antwortend ertappt.

Mit dem Abstieg wurde die Beziehung noch einmal intensiver als die Jahre zuvor. Mit Jan Schindelmeiser und Hannes Wolf gab es etwas, was es viele Jahre nicht mehr gab, es war endlich mal wieder ein VfB zu erkennen, der für etwas stand. Das letzte Mal waren das gefühlt die ersten Jungen Wilden – auch wenn diese aus der Not geboren wurden. Sie gaben dem VfB ein positives Gesicht und eine Ausrichtung. Der Verein ist meiner Meinung nach endlich wieder für etwas gestanden und bekam eine Identität. Es hat sich gut angefühlt. Und dieses zarte Pflänzchen wurde in den letzten acht Monaten von der aktuellen Führungsriege (Hallo Herr Dietrich, Hallo Herr Reschke) ziemlich jäh kaputt getrampelt. Die Hoffnung endlich aus der Vielzahl der Trainerwechsel, aus einem gesichtslosen und austauschbaren Kader von x-beliebigen Spielern rauszukommen, waren wieder dahin. Und das hat für mich persönlich ganz viel kaputt gemacht und eine große Distanz in die Beziehung gebracht. Den Sieg gegen Gladbach oder auch das Tor gegen Wolfsburg habe ich emotionslos hingenommen, ein kurzes Kopfnicken, mehr war es nicht. Es ist vorsichtig gesagt gerade etwas abgekühlt zwischen uns zwei.

Und die vier Punkte aus den letzten zwei Spielen – es ist doch alles wieder gut und der Trainerwechsel hat sich gelohnt? Nein, ich lasse mich nicht von den zwei Spielen beeindrucken – die wirklichen Gradmesser kommen auch noch. Augsburg, Frankfurt – beides Mannschaften die das Momentum eher auf ihrer Seite haben. Nichts gegen Wolfsburg und Gladbach, aber beide Teams waren auch nicht in ihrer besten Verfassung, was z.B. Werder am Sonntag Abend bewiesen hat. Ich ärgere mich viel mehr über die Mannschaft, die nach dem Trainerwechsel wieder mehr laufen kann, wieder aktiver ist – der vorherige Trainer hat es ihnen bestimmt nicht verboten. Ein Muster, welches bei fast jedem Trainerwechsel sichtbar wird. Natürlich ändert ein neuer Trainer etwas an der Taktik, an der Aufstellung – nur das alleine erklärt keine Arbeitsverweigerungen wie zweimal gegen Mainz 05. Und wenn der VfB die Klasse halten sollte, meine Kritik und der weiterhin kritische Blick auf die Herren Dietrich und Reschke wird bleiben. Und nein, das macht mich nicht zu einem schlechten Fan. Sondern einem, der nicht alles hinnimmt, was er vorgesetzt bekommt.

Und die Beziehung wird sich auch wieder ändern, es braucht einfach noch Zeit.

9 Kommentare

  1. Bei mir dauert die Liebe schon etwas länger. Mein Vater (mit DK) hat mich mit ins Stadion genommen und das erste mir einprägende Spiel war das 8:0 gegen Jahn Regensburg. Ich habe jahrelang im Stehplatz Block B,C,D gestanden. Später Block 33. Und seit über 10 Jahren eine DK. Die Tradition habe ich auch schon auf den Sohn übertragen.
    Es gab wie du schreibt, Höhen und Tiefen, Endspiel gegen Neapel vs das Rückspiel gegen Parma. Auch der Kühlschrank gegen Hoffenheim bleibt in Erinnerung.
    Diese Tage war zu lesen, das auch die Ära Dietrich vorbeigehen wird. Hoffentlich wird dieser dann abgewählt bevor noch mehr kaputt geht . Diese Möglichkeit haben die Mitglieder immerhin noch.

    Die Stimmung im Stadion um mich herum war subjektiv betrachtet: 3 Punkte gegen den Abstieg – schön, aber doch mit einer gewissen Gleichgültigkeit. Es hat schon ordentlich gescheppert in unserer Beziehung und momentan fehlt die Perspektive auf gemeinsame neue Wege.
    Aber wer weis, vielleicht nutzt Tayfun Korku nun seine Chance wie seinerzeit Magath. Man kann im Fußball nicht viel voraussagen, doch das Herr WD nicht den VfB als Höchstes sieht hätte man wissen können.

    1. Der Überzeugung bin ich auch, dass man „das“ mit WD einfach ahnen konnte, das trifft einen nicht überraschend. Die Stimmung hat sich bei so vielen Leuten verändert. Langjährige Dauerkartenbesitzer, die nicht mehr ins Stadion gehen, Leute denen die Spiele egal sind. Die Verantwortlichen merken gar nicht was sie da teilweise anrichten – ist ja nur „social media“ – in ihren Augen.

  2. Guter Artikel!

    Mir geht das ganz ähnlich, nur ist bei mir ist diese Distanz wie du sie nennst schon viel früher eingetreten. Nämlich mit dem Rausschmiss von Kevin Großkreuz. Der erste Spieler seit so langer Zeit, der zum VfB gekommen war wegen dem Umfeld, wegen den Fans und nicht wegen der Kohle wird mit der erstbesten Gelegenheit vor die Tür gesetzt, das kann ich bis heute nicht verstehen. Ich hatte einfach die Befürchtung, dass das ein völlig falsches Signal an die Mannschaft und alle künftigen bzw. potentiellen Spieler senden würde. So in der Art „Verhalten und Benehmen in eurer Freizeit ist uns wichtiger als Leistung und Einsatzbereitschaft auf dem Platz“. Was – spätestens mit den damals noch nicht sicheren aber doch sehr wahrscheinlichen Ausgliederungsmillionen – wie ein Magnet für gewisse Profis sein könnte…

    Das war einfach nicht mehr mein Verein, ich kann mich noch erinnern, am ersten Spiel danach gegen Bochum bin ich das erste Mal in meinem Leben völlig neutral ins Stadion, nicht mal ein VfB-Schal. Ich war so enttäuscht, es war mir gleichgültig wie das Spiel ausging. Habe mich stattdessen aufs Biertrinken konzentriert und in der Hinsicht klar gewonnen 😉 Nunja, inzwischen ist meine „Beziehung“ zum VfB glücklicherweise wieder besser geworden aber eine gewisse Distanz ist geblieben.

    1. Ich denke die Beziehung wird sich auch wieder ändern, aber ich denke es wird noch seine Zeit brauchen und natürlich davon abhängen wer die Fäden beim VfB zieht.

      1. Auch ich bin im Moment in einer tiefen Beziehungskrise. Seit 1979 steh ich in der Kurve, aber so emotionslos wie momentan war ich noch nie. Das Schlimmste daran ist für mich, dass WD m.E. garnicht interessiert was er da angerichtet hat. Er kann diese tiefen Emotionen nicht nachvollziehen. Für ihn ist der VfB ein reines Wirtschaftsunternehmen in dem nur der Profit zählt. Wozu denn sonst diese peinliche penetrante Werbung nach neuen Mitgliedern, Trikotangebote oder Stadiontouren. Ein wahrer Fan wird von allein Mitglied und kauft ein Trikot. Mich verärgert diese Flut an Werbemails zusehends.
        Meine mittlerweile 10jährige Mitgliedschaft habe ich gekündigt. Ich bin mir unsicher ob das gut ist aber ich wollte unbedingt ein Zeichen setzen. Mit mir nicht. Nicht so.
        Aber es macht mich alles unendlich traurig.
        Wie das eben so ist in einer Beziehung. Auch bei mir die längste die ich habe und je haben werde.

        1. Gerade bei der Mitgliedersache: ich bin Mitglied geworden, weil ich wollte, nicht weil es irgendwas umsonst gab oder dazu gab. Das kann doch nicht der Grund sein. Das macht man aus der tiefen Überzeugung raus. Und die Mitgliedschaft zu kündigen war wirklich schwer, aber für mich auch eine der wenigen Möglichkeiten ein Zeichen zu setzen – auch wenn das WD nicht die Bohne jucken wird.

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