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Eine Lanze brechen – oder warum ich Kevin Großkreutz mag

Ich habe einen Tag Abstand gebraucht, die Pressekonferenz gestern hat mich mehr mitgenommen als ich mir das zuvor gedacht habe. Viele werden denken, hey ist doch nur ein Fußballer, ist doch nur Fußball, der wird doch gut bezahlt. Ich habe da nur einfach den Menschen Kevin Großkreutz gesehen. Aber vielleicht zur Vorgeschichte.

Anfang der Woche sickerte durch die Presse, dass Kevin Großkreutz in einer Schlägerei verwickelt war und im Krankenhaus liegt. Was danach folgte war aus vielerlei Hinsicht ein Trauerspiel. Zuerst möchte ich hier die Presse nennen. Allen voran die BILD, der mal wieder Moral und Ethik komplett abgingen, die das Bild von ihm abgedruckt haben. Hauptsache Klicks, Hauptsache Reichweite. Und schnell noch mehr Details raushauen, er war nachts unterwegs, mit Jugendlichen. Aber auch Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten haben sich meiner Meinung nach nicht mit Ruhm bekleckert. Fünf oder mehr Artikel zu dem Thema. Man hatte das Gefühl, sie stürzten sich alle mit großer Freude darauf, dass endlich mal wieder was beim VfB Stuttgart los war. Die letzten Wochen waren auch einfach zu ruhig. Und  ja liebe BILD, dann nach der Pressekonferenz was zu schreiben, von wegen „Tränen auf der Pressekonferenz/Bricht in Tränen aus“, dass ihr mit eurer Berichterstattung einen Großteil zu der Entwicklung beigetragen habt, da merkt ihr natürlich nicht. Ihr werdet es nicht tun, aber denkt mal darüber nach.

Was dann allerdings in den sozialen Medien abging, da war noch schlimmer meiner Meinung nach. Da waren auf einmql fast nur noch  bzw. sehr viele Leute mit Heiligenschein unterwegs, die noch nie irgendeine Verfehlung hatten. Das war zu dem Zeitpunkt an dem nur bekannt war: Schlägerei, jüngere Leute. „Was macht ein Familienvater um 2 Uhr am Wilhelmsplatz?“ Ernsthaft? Weil ich Vater bin, darf ich nicht mehr unterwegs sein, vor allem wenn ich am nächsten Tag frei habe? Und alle die da mit Dreck um sich geworfen haben, waren natürlich noch nie spät nachts unterwegs, haben das Wochenende durchgefeiert und sind am Montag nur körperlich anwesend im Büro gesessen. Und auch sonst, ein Leben mit blütenweißer Weste. Dann die beliebte Begründung, er sei doch ein Fußballprofi und muss Vorbild sein. Genau, Fußballprofis dienten ja schon immer als große Vorbilder und natürlich kann man von denen was anderes erwarten, wie man selber lebt bzw. leben würde – wenn man nur könnte. Den Vergleich zu anderen Fußballprofis in  Deutschland mit ihren Verfehlungen zu ziehen passt nicht, da jeder Verein eigene Maßstäbe anlegt und diese dann durchzieht bzw. die Konsequenzen daraus zieht.

Konsequenz vom VfB Stuttgart war also die einvernehmliche Trennung. Das muss man so akzeptieren. Ich bin, auch mit den Hintergründen die bekannt sind, der Meinung, dass die Entscheidung zu hart ist und ich persönlich hätte diese Entscheidung nicht getroffen. Warum, das möchte ich nicht näher ausführen. Einfach so bitte aufnehmen.

Dass Kevin Großkreutz die Fans, die Menschen spaltet ist klar. Er eckt an, er ist nicht der aalglatte, mediengeschulte Fußballprofi, er ist eigentlich einer wie wir, aus der Kurve, der das große Glück hatte, besser wie wir zu kicken und Profifußballer geworden ist. Er hat das was viele Jungs als Traum haben verwirklicht. Und er ist ne ehrliche Haut, er ist menschlich, er weint Tränen nach dem Spiel gegen Mainz, er bleibt beim VfB, wenn der Abstieg sicher ist. Er ist vielleicht eben nicht so rational und gesteuert wie andere Fußballprofis. All das mag ich an ihm. Ja, vielleicht war es der ein oder andere Instagram-Post zu viel. Ist mir immer noch lieber, als durchgeplante Agenturtweets wie von Philip Lahm.

Und dann sitzt da dieser Mensch auf der Pressekonferenz und entschuldigt sich. Wie viele von denen, die mit Dreck auf ihn geworfen haben, hätten die Eier gehabt sich da hinzusetzen und diese Worte zu sagen. Er weiß, dass er Fehler gemacht hat, er entschuldigt sich dafür – das ist mehr als viele in ihrem normalen Leben schaffen. Und man sieht was ihm das alles bedeutet. Und wer da nicht mit ihm fühlt, dem fehlt einfach sehr viel menschliches.

Lieber Kevin Großkreutz, vermutlich wirst du diese Zeilen nie lesen, aber ich wünsche deiner Familie und dir in den nächsten Wochen viel Ruhe und Zeit die Ereignisse aufzuarbeiten und zur Ruhe zu kommen. Alles erdenklich Gute für die Zukunft und ich persönlich würde mich freuen, dich wieder auf dem Platz zu sehen. Spieler wie du sind selten geworden und deswegen freue ich mich über die Letzten ihrer Art und werde immer wieder eine Lanze für sie brechen.

2 Kommentare

  1. Ein sehr lesenswerter Beitrag. Bin grossenteils Deiner Meinung, hinsichtlich der Entscheidung für die Trennung sehe ich diese auf Basis der (in der Öffentlichkeit bekannten) Gesamtumstände nicht als zu hart an. Sehr hart ist die Entscheidung definitiv und ich bin mir auch sicher, dass die Verantwortlichen beim VfB sich der Tragweite dieser Entscheidung bewusst sind. Hut ab vor KG19 dafür, dass er sich nicht heimlich verdrückt hat sondern noch ein Statement abgegeben hat. Er alleine weiss, was alles wirklich passiert ist und ich hoffe irgendwo, dass das auch so bleibt und niemand jetzt noch tiefer nachbohrt. (Die Bild-Schlagzeile von heute ist mir zwar nicht entgangen, es interessiert mich aber ehrlich gesagt nicht, was da drinsteht). Kevin ist jetzt am Boden – da muss man nicht auch noch auf ihm rumtrampeln…

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